Der Weltmeister der Biersommeliers gibt in Warstein eine sinnliche Einweisung in die Materie
Es duftet nach Schokolade. Dazu steigt eine leicht bittere Note in die Nase auf. Die Farbe der Flüssigkeit ist ein kräftiges Braun. Feine Perlen steigen auf zum weichen Schaum auf der Oberfläche. Das Glas zum Mund geführt, schwappt die Flüssigkeit über den gewölbten Rand desselben und trifft im steilen Winkel auf der Zunge auf. Das ist der Moment, in dem die Geschmacksrezeptoren ihre Wahrnehmung ans Gehirn senden. ‚Ein Malzbier‘, meint dieses zuerst. Oder ein Schwarzbier mit Himbeeren?
Beides ist falsch. Es ist ein Dunkles, Fachbegriff für einen von etwa 35 Bierstilen, die Karl Schiffner, Weltmeister der Biersommeliers, in seinem zweitägigen Seminar in sauerländischen Warstein verköstigt und zu unterscheiden lehrt. Seine Krawatte ist gespickt mit Bildern kleiner Bierhumpen, der typischen Assoziation eines Bieres. Doch die Glasvarianten bei der Verköstigung sind spezieller und ohne Henkel. Karl Schiffner hat - entsprechend des physikalischen Anspruches, wie ein Bier im Idealfall auf die Geschmacksknospen auftreffen sollte – ein eigenes Glas entworfen und anfertigen lassen. Der gelernte Weinsommelier und praktizierende Gastronom setzt sich schon seit langer Zeit mit dem herben Genuss auseinander. „Wann macht welches Bier am meisten Spaß?“ fragte er sich, als er die Kreativität der Bierbrauer seiner Heimat, dem österreichischen Mühlviertel, entdeckte. Seit etwa vier Jahren bildet Schiffner an der Doemens Academy, Fachakademie für Brauwesen und Getränketechnik in Gräfeling bei München, Biersommeliers aus. Inzwischen wird alle zwei Jahre eine Weltmeisterschaft der Biersommeliers unter rund 50 teilnehmenden Ländern ausgetragen.
Schon bei der Herstellung eines Bieres wird klar, welche Eigenheiten den Geschmack ausmachen. Bei einem Rundgang durch die Warsteiner Brauerei erhalten die aus ganz Deutschland angereisten Besucher des Bier-Seminars Einblick in die hohe Kunst des Bierbrauens. Während früher der Geschmack dem Zufall überlassen wurde, da keiner wusste, was die Maische zum Gären bringt, wird heute gezielt Hefe eingesetzt und abschließend der Sauerstoff ausgeschlossen. Der Risikofaktor Transport ist ebenfalls aufgrund hygienischer und technischer Möglichkeiten kalkulierbar. Der Hopfen sorgt für die Bittere und Haltbarkeit. Die streng kontrollierte Reinheit des Wassers – in Warstein werden wissenschaftlich Wasserflöhe als Indikator eingesetzt – ist garantiert. Das Malz, gekeimte Gerste, ist die bestimmende Variante für Geschmack, Farbe und Aroma. Je nachdem, aus welcher Gerstenart es gekeimt ist, entwickeln sich die unterschiedlichen Aromen schon aus dem Korn. Von Banane bis Karamell, von Apfel bis Rauch, ist die Duftpalette der Proben im Malzlabor der Brauerei schier unerschöpflich. „Das ist doch Butter“, meint naserümpfend einer der zehn Bier-Freunde. „Also ich rieche Nuss“, antwortet eine Dame, die sich aufgrund ihrer Kocherfahrung später als Geruchsexpertin herausstellt. Im Gärungsprozess schließlich entwickeln sich weitere Charakteristika, die mit der Entstehung der Kohlensäure einher gehen. „Die geschmacklichen Empfindungen sind bei jedem unterschiedlich“, so erklärt Schiffner drei Stockwerke weiter oben, am Rande eines 25 Meter hohen stählernen Gärtanks, „wichtig ist die Schärfung der Sinne auf die feinen Unterschiede.“
So beginnt nach dem mittäglichen Genuss eines Schweinsbraten mit Bierkrüstchen ein Workshop zur Unterscheidung der hierzulande bekannten Bierstile. Vom Radler über Weizenbier und Helles sowie obergärige und untergärige Biere, bis hin zum Doppelbock reichen die von Karl Schiffner kredenzten und im blumigen Fachjargon umschriebenen Sorten. „Die sensorische Differenzierung ist faszinierend, wenn man sich erst einmal darauf einlässt“, sagt Anna, die mit 22 Jahren jüngste Schülerin - und Studentin der Literaturwissenschaften. Doch beim schriftlichen Test, sieben Biersorten zu beschreiben und zu definieren, versagt auch sie, bekommt aber für drei Richtige ein großes Lob vom Weltmeister. Denn die Dufterinnerungen abzurufen und zuzuordnen gelingt oft nur den geschulten Nasen.
Zwischen den einzelnen Gängen wird, wie bei Weinproben auch, Weißbrot gereicht. „Das Bier selbst ist schon der beste Reiniger für die Zunge“, erklärt Schiffner. „Die Kohlensäure spült die Geschmacksknospen richtig durch“. Die angemessen Mahlzeiten wie der Braten zum Pils oder das Wildgeflügel zum Eisbock bleiben Theorie. Sie würden den Rahmen des nachmittäglichen Workshops und wahrscheinlich auch einige Hosenbünde sprengen. Dennoch - ein Bier nach dem anderen zu kosten macht hungrig. Am Abend dreht sich alles um das Pils nach deutscher Brauart, das zu Fleisch, Pasta, Toast und Salat passt. Dass für den richtigen Genuss auch theoretische und handwerkliche Künste vonnöten sind, erfährt die wissensdurstige Gruppe anschließend. Zapfanlage, Biertemperatur, Druck des Kohlensäureanschlusses und Bedienung des Zapfhahns sind Faktoren, die die Qualität eines frischen Bieres beeinflussen. Mit dieser neuen Kenntnis und einer Zapfurkunde in der Hand schreiten die Eleven aus diesem Exkurs zur nächsten Runde.
Zehn staunende Augenpaare und sich runzelnde Nasen sind der Anblick beim Betreten des rustikal-gemütlichen Seminarraums am Morgen des zweiten Tages. Es riecht förmlich nach dem experimentellen Teil. Französischer Rohmilchkäse wird zu den ersten der für heute angekündigten internationalen Biere gereicht. Ein würziger Duft, dunkle Färbung und der erste Gaumenschock bei einem norwegischen „Porter“ Bier - bitter und mit leichtem Karamellaroma. Der dazu gereichte, kräftige Weichkäse entwickelt auf der Zunge seinen eigenen Geschmack. Doch nun braucht mancher etwas Mut, wie an den Gesichtern abzulesen ist. Anna beschreibt den Augenblick so: „Beim Eintreffen des Bieres auf der weichen Käsemasse explodiert der Geschmack förmlich auf der Zunge. Die Überraschung dabei ist, dass keine Mischung aus beiden Aromen entsteht, sondern ein neuer Geschmack.“ Die Verblüffungen gehen weiter: Belgisches Vintage-Bier aus 2004 mit Himbeerzusatz aus einer Art Champagnerflasche, dazu ein Morbier Käse. Die Krönung bildet ein 18%iges Bier aus den USA, abgefüllt in ein kleines Fläschchen mit Korkverschluss in der Brauerei Samuel Adams, ohne Schaum und Kohlensäure, mit einer Note von Ahornsirup, kombiniert mit der österreichischen Weltmeisterschokolade mit Zitrone, Pfeffer und Meersalz von Wenschitz. Es ist erstaunlich, wie die Bittere des Bieres und seine malzige Note mit den Aromen von ganz eigenen Käse- und Schokoladesorten harmonieren. Um wenige Promille und einige Erfahrungen reicher, und dem Bier gegenüber sehr viel weltoffener geht die Gruppe auseinander.
Eine geheimnisvolle Welt der Biere ist es, die einlädt, dort für ein paar Geschmacksmomente zu verweilen. Sie ganz zu ergründen scheint eine Lebensaufgabe zu sein. Doch mit Karl Schiffner als Reiseführer erfährt der Genießer schon in zwei Tagen, welche die Höhepunkte der Smell-Taste-Seeing-Tour durch die ganze Vielfalt der Bierbraukunst sind.
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Informationen:
Unsere Warsteiner Welt: http://www.warsteiner-gruppe.de
Karl Schiffner: www.biergasthaus.at
Doemens Akademie: http://www.doemens.org